Das Schwert

...

«Da Silva, ein Portugiese bei einem spanischen Turnier?»
«Was ist daran so ungewöhnlich, Marqués?» Der stattliche
Mann setzte eine erstaunte, beinahe misstrauische Miene auf.
Den alten Fuchs stach der Hafer, und er schnalzte mit der
Zunge. «Alors, die Teilung der Welt in eine spanische und eine
portugiesische ist vom Papst abgesegnet worden – schickt König
Manuel nun seine besten Ritter, um es uns auf dem Turnierplatz
zu zeigen?»

«Schon möglich. Dieses Turnier werde ich auf jeden Fall gewinnen.
» Da Silva sprach leise, und Nicolas hörte deutlich den
bedrohlichen Ton in seiner Stimme. «Gegen wen auch immer»,
sagte er und fasste De Monterrey scharf ins Auge. Dabei griff er
unbewusst an das blaue Seidentuch an seinem Oberarm. Sein
Blick war kalt und durchdringend, und Nicolas dachte in diesem
Moment, dass er den Grafen in einer ernsten Konfrontation
nicht zum Gegner haben wollte! Wie ernst es dem Portugiesen
allerdings war, ahnte niemand …
Da Silva wandte sich wieder an den Marqués: «Portugal»,
sagte er in neutralem Ton «will in erster Linie, sagen wir … Eindruck
machen.»
Don Alejandro lachte. «Ah ja? Und was verspricht Portugal
sich davon?»
Da Silva neigte sich zu dem Marqués. «Eine weitere Annäherung
…»
«Was wollt Ihr damit andeuten?» Das wettergegerbte Gesicht
des alten Haudegens blieb unbewegt, nur sein Blick verriet
Interesse. «Auf persönlicher Ebene?», fragte er wie nebenbei.
«Ganz persönlicher.»
«Hm», überlegte Don Alejandro laut und schlug ärgerlich
nach einer Fliege. Der Diplomat konnte durchaus vom portugiesischen
Königshaus beauftragt worden sein, in heiratspolitischer
Mission bei König Karl vorstellig zu werden. Dieser
Gedanke war nicht abwegig. Freiheraus versicherte er dem
Portugiesen: «Ihr könnt jederzeit mit meiner Hilfe und meinem
Einfluss, der bei Hof nicht unbeträchtlich ist, rechnen, um
eine spanisch-portugiesische Verbindung zustande zu bringen.
»
Da Silva zog eine buschige Braue hoch, dann lächelte er und
nickte unmerklich.
«Ich persönlich», Don Alejandro legte dem Mann eine Hand
auf die Schulter, «halte eine solche für die geschickteste monarchische
Verbindung und würde sie sehr begrüßen.»
Der Conde nickte, beschirmte die Augen mit der Hand und
blickte in das leuchtende kastilische Blau des Himmels. «Mon

dieu, man kocht uns heute in der Schale.» Dann deutete er in
Richtung Ehrentribüne, von der sich der König langsam näherte.
«Wir wissen, dass alle spanischen Granden Interesse daran
haben, ihren Herrscher auf irgendeine Weise zu verheiraten.
Doch Euer junger König, der nach außen hin geschickt taktiert
und seine Abgeneigtheit gut zu verbergen weiß, hat noch keine
Ambitionen, sich zu vermählen.»
Don Alejandro seufzte, schwieg aber.
«Ist es nicht verständlich, dass man in unserem Alter noch
nichts vom Heiraten wissen will?», wandte Nicolas ein, der zum
ersten Mal von den Plänen hörte, die junge, hübsche Prinzessin
Isabella von Portugal mit dem Habsburger zu verheiraten.
«Junger Mann», Don Alejandros hageres Gesicht nahm einen
strengen Ausdruck an, «das ist keine Frage des Alters oder
der Ambitionen. König ist König! Als solcher muss er im Interesse
des Landes handeln, leben und – heiraten. Wo kämen wir
sonst hin?»

 

...

 

Maldonado und Acuna besprachen sich, ohne dass der Erstere
den Dolch von Don Alejandros Kehle nahm.
«Wer seid Ihr?», fragte der Bischof schließlich.
«Verzeiht, Messieurs, dass ich mich nicht vorgestellt habe.»
Nicolas deutete eine ritterliche Verbeugung an. «Ich bin der
Marqués de Monterrey, der Neffe dieses alten Narren, dem zu
Willen ich Weihnachten und Neujahr hier in der Wildnis verbringen
muss. Glaubt mir, ich säße lieber beim Festtagsbraten in
der königlichen Stube!»
Damit und mit seinem süffisanten Ton hatte Nicolas ins
Schwarze getroffen. Doch der gerissene Maldonado äffte ihn
nach: «In der königlichen Stube, so … ein Marqués! … Und
warum sollte ich Euch glauben?», entgegnete er ihm misstrauisch.
Nun meldete sich Don Alejandro vorsichtig zu Wort. Der
Dolch verharrte noch immer in gefährlicher Nähe seiner
Stimmbänder, und er traute Maldonados ruhiger Hand keineswegs.
«Bei den Aufständischen im Norden ist, wie ihr wisst, kein
Geringerer als der Duque de Alba persönlich mit dieser Angelegenheit
betraut – glaubt ihr denn, in dieser Gegend hier sind
seine Leibschüsselträger unterwegs?» Der hagere Mann mit
dem schlohweißen, schulterlangen Haar warf dem Bischof einen
so strengen Blick zu, dass dieser verlegen zu Boden sah, dann
fügte er bitter hinzu: «Ha, man sieht meinem nichtsnutzigen
Neffen nicht an, dass seine Hände, die brillant ein Schwert führen
könnten, den König mit dem Flötenspiel erfreuen!»

Acuna und Maldonado wechselten ein paar Worte, dann verkündete
der Bischof zu Nicolas gewandt: «Wir nehmen Euch
als Geisel und lassen dafür alle anderen unter der Bedingung
frei, dass sie sofort nach Toledo zurückkehren.»
«Hm, und wenn wir lieber kämpfen?» Nicolas ließ den Dicken
zappeln.
«Für eine Sache, die Euch nichts bedeutet? Ihr ladet die Blutschuld
unschuldiger Opfer auf Euch.»
«Da habt Ihr Recht. Andererseits will ich nichts lieber, als
bald wieder vor einem gemütlichen Kaminfeuer sitzen. Wie
lässt sich das als Eure Geisel bewerkstelligen?»
Maldonado flüsterte Acuna etwas ins Ohr, worauf der Bischof
antwortete: «Darüber macht Euch keine Gedanken.»
«Nur darüber mache ich mir Gedanken.» Nicolas beobachtete
den Bischof und tat, als würde er überlegen – gerade so lange,
bis der andere nervös wurde. «Halb ich Euer Wort?»
«Unser Ehrenwort!», bestätigte Acuna eiligst, und Maldonado
nickte.

 

...

 

Als die schräg einfallenden
Sonnenstrahlen die Häuserfassade an der Plaza Mayor in die
Farbtöne Rosa und Ocker tauchten, wurde Jafar vom Lärm auf
der Straße geweckt. Er lugte vorsichtig über das Fenstersims
und sah, wie die ersten Soldaten direkt unter ihm von ihren
Pferden stiegen. Immer mehr Männer überquerten die Plaza
und ritten, einer nach dem anderen, auf den Gasthof zu. Der
Trupp war gut bewaffnet.
«Sayyid-i, Don Nicolas!» Jafar war an Nicolas’ Bett gesprungen
und rüttelte seinen Herrn. Der schnellte von der Strohmatratze
hoch.Fenster.
Es dauerte einige Sekunden, bis Nicolas sich zurechtfand.
«O sayyid-i, diese Männer wirken fürchterlich entschlossen
und sehen nicht aus wie Jahrmarktsverkäufer!» Nach einem
Blick aus dem Fenster flüsterte Nicolas: «Schleich dich zu den
Pferden und warte mit ihnen am Hintereingang. Stell keine Fragen,
sondern beeil dich!»
Er zog sich hastig an, packte ihre Bündel, legte ein paar Pesos
auf den Tisch und öffnete einen Spaltbreit die Tür. Das Zimmer
ging auf eine Galerie, die rund um einen Innenhof lief und alle
Räume, auch die über den Ställen verband. Aus der Gaststube
am Fuß der Haupttreppe drangen Stimmen: die des Schankmädchens
und die kalte, schneidende Stimme des Anführers der
Neuankömmlinge. Schweiß brach Nicolas aus allen Poren.
Trotzdem schlich er sich näher an die Treppe heran und horchte.
Zum ersten Mal vernahm er die Stimme jenes Mannes, der
ihn so hartnäckig verfolgte.
Der Comandante bestellte Essen und Wein für die ganze
Truppe. Die wenigen danach gewechselten Worte konnte Nicolas
nicht verstehen, aber der Tonfall verriet, dass er das Mädchen
nicht verhörte. Nur weg, dachte er und sah sich um. Wenn es
ihnen gelang, hier zu verschwinden, hätten sie noch einmal einen
kleinen Vorsprung vor der Meute des Königs.
An der gegenüberliegenden Seite des Innenhofs, direkt über
den Ställen, entdeckte er eine schmale Treppe in den Hof hinab.
Von dort bis zum großen, offen stehenden Einfahrtstor waren es
nur wenige Schritte. Überall Soldaten. Sie eilten über den Hof,
tränkten ihre Pferde und nahmen ihnen Zaumzeug und Sättel
ab.
Nicolas schlich die Galerie entlang und über die Treppe. Bis
die Soldaten vom Wirt erfuhren, dass sie ihnen dicht auf den
Fersen waren, überlegte er, an die Stallwand am Fuße der Treppe
gepresst, würden sie mit den müden Pferden nicht mehr weit
kommen. Außerdem brach bald die Nacht herein. Er müsste nur
das verdammte Tor erreichen! Bis jetzt hatte er keinen Beweisdafür gehabt, welch zäher Verfolger ihm auf der Spur war. Mit
einem so starken Verfolgungstrupp hatte er jedenfalls nicht gerechnet.
Nicolas blickte sich um. Unter der Treppe entdeckte er prall
gefüllte, gestapelte Säcke, die ihm nach Korn- oder Hafersäcken
aussahen. Davor stand ein Schubkarren mit einer offensichtlich
frischen Lieferung Mehl, denn Säcke wie Karren überzog eine
dicke weiße Schicht. Der Augenblick war günstig, keiner der
Soldaten betrat oder verließ gerade die Sattelkammer einige
Schritte weiter. Nicolas sprang zu dem Karren, stieß mit dem
Dolch in das dicht gewebte Leinen der Säcke und steckte seine
Hand hinein. Von oben bis unten mit Mehl bestäubt, riss er einen
Hafersack vom Stapel und schwang ihn über seine Schulter.
Gebückt, das Gesicht zu Boden geneigt, näherte er sich der Tür.
Beinahe wäre er von einem Soldaten angerempelt worden,
der, einen Sattel über beiden Unterarmen, an ihm vorbei zur
Sattelkammer eilte. Nicolas sah nicht auf. Beherzt trat er über
die Schwelle, setzte einen Fuß vor den anderen. Der Sack war
schwer und zwang ihn, langsam zu gehen. Rund um ihn erhob
sich plötzlich Stimmengewirr, dazu Rufe und Schreie und das
Wiehern von Pferden. Aus den Augenwinkeln konnte er nicht
erkennen, was die plötzliche Aufregung ausgelöst hatte. Wieder
brach ihm der Schweiß aus. Er zwang sich gleichmäßig schlurfenden
Schrittes weiterzugehen. Noch wenige Schritte …