Bei Anruf Baby

1.

Unter Palmen

oder

Ein traumatisierender Schnitt ins Leben

Wind kam auf und wehte staubige Erde gegen die Windschutzscheibe meines Wagens. Kein Range-Rover, nicht einmal ein Jeep, wie sie zu Dutzenden im Gelände und auf den schlecht befestigten Straßen abseits der Touristenpfade anzutreffen waren. Ein Seat. Da wähnte ich die häufigsten Ersatzteile auf der spanischen Insel.  Zu dieser Zeit arbeitete ich auf La Palma, der „grünen Insel“ im Atlantik, und ich graste sie mit einem dunkelblauen Toledo ab - ein bisschen Komfort musste sein. Im Vergleich zum Großteil dessen, was sich auf vier Rädern erlaubterweise fortbewegte, war er eigentlich bereits Luxus. Und viel zu temperamentvoll für die Haarnadelkurven, wenn eine Mehrgebärende mit Blasensprung auf der anderen Seite der Insel wartete...
Mühsam kämpfte ich mich auf den lückenhaft asphaltierten Spurrillen einer Straße bergab, die diese Bezeichnung so wenig verdiente, wie der Ort den phantasievollen Namen „Barrio de los higos“, Tal der Feigen. Ich sah keinen einzigen Feigenbaum, geschweige denn mehrere davon. Vermutlich hatten sie den terrassenförmigen Plantagen weichen müssen, als man noch ganz euphorisch jeden flachen Quadratmeter Land in Bananenanbaugebiet verwandelte. Und wo es nicht flach war, wurden Terrassen angelegt, Umrandungen betoniert und aus grauen durchbrochenen Betonsteinen hohe Wälle gegen den Wind aufgezogen. Wind gibt es auf der Vulkaninsel überall, ergo auch die kilometerlangen Mauern. Sie hören dort auf, wo der hübsche Blumenschmuck an den Häusern und in den Gärten beginnt. Seit die EU vor kurzem die Absatzhilfen für kanarische Bananen gekürzt hat, weint man bestimmt so kostbaren Gewächsen wie Feigenbäumen nach. Die noch dazu ohne Mauern auskommen. Selbst ohne Terrassen.
Nach endlosen Kilometern vorbei an den besagten Einfriedungen in monotonem Grau, hinter denen die saftiggrünen Bananenblätter leuchteten, entdeckte ich das einzige Haus über den Klippen, eine hübsche Finca in kanarischem Stil. Sie gehörte spanischen Zuwanderern vom Festland, die es seit ein paar Jahren mit Bananenanbau versuchten und nun ihr zweites Kind erwarteten. Das Problem war nur: die stämmige Frau hatte davor einen, wie sie meinte, grundlosen Kaiserschnitt und war wohl aufgrund der sprichwörtlichen Sturheit der Madrilenen nun nicht mehr bereit einen Fuß in die Inselklinik zu setzen.
Langsam rollte ich auf das Anwesen zu. Über die weißen Mauern wogten blühender Oleander und Hibiskus in leuchtenden Farben. Ich fahre immer zumindest ein Mal dorthin, wo die Geburt stattfinden soll. Situationen, in denen ich um zwei Uhr früh irgendwo in der Botanik stehe und nicht weiterweiß, weil es dort keinen Empfang gibt und die Beschreibung mir bei den vielen Weggabelungen und Pfaden auch nicht weiterhilft, versuche ich tunlichst zu verhindern.
Aida und Jaime erwarteten mich bereits. Die Hunde offensichtlich nicht, denn als sie den Wagen hörten, stimmten sie zu einem ohrenbetäubenden Bell-Quintett an, das sich erst wieder beruhigte, als ich auf der Terrasse Platz nahm und mich nicht mehr rührte.  
Im Schatten der ausladenden Markise saß ein betagtes Ehepaar, ebenfalls regungslos, jedoch aus anderen Gründen. Aus dem eisigen Lächeln, das sie mir in trauter Übereinstimmung zuwarfen, schloss ich, dass der Grund meines Erscheinens nicht willkommen war. Ich wurde Aidas zu Besuch weilenden Eltern vorgestellt und mit steinerner Miene begrüßt. Eine Marlboro gebeizte Stimme und ein bis zum Nabel dekolletiertes T-Shirt hätten vermutlich nicht weniger Symphatie wecken können.
Dann verschwanden Aida und Jaime ins Haus. Nach einem Blick in die strengen Züge meines ergrauten Gegenübers - irgendetwas an der Lady erinnerte mich an Margaret Thatcher, vielleicht die Frisur? - erwog ich kurz zu dem üppig wogenden Blumenbeet zu schlendern, ließ von dem Gedanken aber wieder ab, um die eingekehrte Stille nicht zu gefährden. Statt dessen betrachtete ich von der Terrasse aus die weiße, orange und lilafarbigen Pracht blühender Callas und Azucenas.
„Nett habt ihr es hier.“ Das meinte ich ehrlich. Bis auf die Hunde. Die sieht man in der Regel zwar nicht, weil sie in den Fincas in Zwingern gehalten wurden, dafür hört man sie. Vorzugsweise nachts.. Kilometerweit. Wenn das einzige was sich regt nicht ein Lüftchen ist, sondern die Haare, die einem einzeln zu Berge stehen. Weil das Dutzend Köter wieder einmal beschlossen hat gemeinsam den Mond anzuheulen. Oder den Polarstern.

©   Ursula Walch